„Ich kann Dingen, die aus der Zeit gefallen sind, einen neuen Nutzen geben“
Anja Großmann ist beim 29. Kunsthandwerkerinnenmarkt mit ihren Upcycling-Objekten in Jülich dabei
Jülich. Nur noch wenige Tage, dann wird am 3. und 4. Juni von 11 bis 18 Uhr der Jülicher Schlossplatz wieder Austragungsort des 29. Kunsthandwerkerinnenmarktes sein. Als eine von über 200 Ausstellerinnen ist Anja Großmann aus Niederzier mit ihren „Fundstücken“ dabei – unikate Upcycling-Objekte, die nicht nur bei ihr für Begeisterung sorgen.
Ob Deckenlampen aus Suppenschüsseln, Wandhaken aus Büchern oder Motorenteile und Schrankbretter mit Sägeblättern als Intarsien – der Kreativität von Anja Großmann sind keine Grenzen gesetzt. Offensichtlich wurde ihr diese Gabe schon in die Wiege gelegt, denn als Kind eines Elektroingenieurs war die heimische Werkstatt ihr Spielplatz. Hier durfte sie dem Vater bei den so anfallenden Reparaturen erst über die Schulter gucken und dann zur Hand gehen, bis dieser dann irgendwann keine Sorge mehr hatte, sie machen und werkeln zu lassen. Auch die Anwesenheit zweier großer Brüder war letztlich zielführend bei der Entwicklung handwerklicher Fähigkeiten, Anleitungen für Spielzeugbausätze waren ihr dagegen völlig egal. „Ich habe mit Playmobil oder Lego nie das gebaut, was es werden sollte, sondern nur zusammengefügt, um andere Spielzeuge wiederum zu bespielen, also um Dinge zu ergänzen, die ich dafür brauchte.“ So beschreibt die studierte Kunsttherapeutin die ersten Lektionen, die sie sich auf dem Weg zur Kunsthandwerkerin selber aneignete.
Nach dem Abitur stand sie auf einmal vor der Entscheidung zwischen Schreinerei und Kunsttherapie. Diese fiel zunächst zugunsten des Studiums aus. „Ich habe erst später festgestellt, dass Schreinerei besser gewesen wäre, weil ich da etwas mit den eigenen Händen mache. Mein Job als Kunsttherapeutin wäre es ja gewesen, andere anzuregen, etwas zu tun – aber nicht selber.“ Sowieso wurden die Jahre nach dem Studium der Kindererziehung und dem Haus gewidmet, da der Ehemann – wie ihr Vater ein Elektroingenieur – viel auf Reisen war, bevor er Berufsschullehrer wurde. „Natürlich habe ich mit den Kindern auch viel gebaut und gebastelt. Meine Tochter macht derzeit eine Ausbildung zur Industrieelektrikerin, mein Sohn wird Physiotherapeut – auch was mit Händen“, so Anja Großmann.
Nachdem sie mit ihren umgebauten Objekten irgendwann Freunde und Familie beschenkt und Objekte an deren Wände gebaut hatte, „haben mich irgendwann genug Leute getreten und getrieben, endlich auf Märkte zu gehen und damit auch andere Menschen zu erfreuen“. Vor allem sollte ihre Freundin Eva mit dabei sein – „ohne die ich es nicht gemacht hätte“. Leider erkrankte diese an Krebs und ein Schub fiel genau in die geplante Startphase. „Wir einigten uns darauf, dass ich schon mal anfange und sie dann einsteigt“, so Anja Großmann. Leider kam es dazu nicht mehr – „aber ich habe bei jedem Markt meine Eva-Gedächtnisblume dabei“.
Auf dem Jülicher Kunsthandwerkerinnenmarkt war sie bereits als Besucherin und nach mehreren Bewerbungsversuchen hat es im Jahr 2021 erstmals mit einer Teilnahme geklappt. Nun ist sie bereits das dritte Mal in Jülich dabei. Sie reist stets mit ihrem vollgepackten Wohnmobil an – „mein rollendes Zuhause und mobiles Lager“ – , das mit mittlerweile 40 Jahren immer noch sein erstes Leben (ab)leistet. An ihrem Stand wird sie den Interessierten einen bunten Querschnitt ihrer „Fundstücke“ präsentieren und verkaufen. Sie freut sich immer über deren Begeisterung und gar nicht selten lassen sich Menschen von ihren Objekten inspirieren und möchten auch eigene Dinge umgebaut bekommen. „Und das ist dann mein eigentliches Gewerk – Dingen von Menschen ein zweites Leben geben“, so Anja Großmann. Sie selber hat nur ein Lieblings-Fundstück, dessen zweites Leben sie bis zu dessen Ende begleiten möchte: ihren Prototypen mit Intarsien. „Ich kann ja nicht alles behalten, aber zugegebenermaßen gibt es schon ein paar Dinge, da freue ich mich tatsächlich, wenn ich sie nach dem Markt noch einmal wieder mit nach Hause nehmen kann“, schmunzelt sie.
Ihr penibel und systematisch geordnetes Lager mit unzähligen sorgfältig beschrifteten Schubladen, Boxen, Gläsern und Kisten voller alltäglicher und kurioser Dinge von Spielfiguren über Schlüssel, Korken, Fahrradketten oder Schnappverschlüsse beherbergt mittlerweile einen großen Bestand. Es gibt sogar eine Kiste Restprojekte/Unvollendetes. „Hier werden Dinge aufbewahrt, die noch keine Schublade haben, bis mindestens drei Teile davon angesammelt sind, erst dann bekommen sie nämlich eine eigene Schublade“, gibt Anja Großmann lachend Einblick in ihr Ordnungssystem.
Ebenso akkurat und thematisch in Kisten verpackt finden sich in den vielen Räumen des Hauses – die als ehemalige Kinderzimmer jetzt als Lager oder Werkstatt nun ebenfalls ihr zweites Leben führen – die daraus neu gebauten Unikate. „Aber regelmäßig bekomme ich trotz ausreichend Lagerbestand zwei Wochen vor einem Markt Panikattacken, denn ich möchte ja auf jeder Veranstaltung etwas Neues dabei und besondere Einfälle haben – und die kommen immer erst kurz vor Schluss. Dann habe ich plötzlich nachts viel Arbeit“. Nachts vor allem deshalb, weil sie festgestellt hat: „Ich kann tagsüber funktionieren, aber kreativ werde ich erst so richtig ab Mitternacht!“
Und so entstehen beispielsweise mitten in der Nacht aus einem Hobel oder alten Bakelit-Telefonen Lampen. „Ich sehe wirklich überall Lampen und Möbel!“ Porzellan ist ein für sie so vielseitig einsetzbares Material, dass das zweite Leben auch mal als Vogelhäuschen oder Wandhaken enden kann. „Die Dinge finden sich wirklich manchmal selber“, sagt Anja Großmann und verweist auf einen Skelettschädel aus keramischem Material, der auf Shakespeares-Büchern montiert und beleuchtet eine perfekte Lampe für Leseratten entstehen lässt. Und doch: „Nicht alles, was eine tolle Idee ist, ist auch umsetzbar“, bedauert Anja Großmann. Alle elektrischen Objekte müssen vor dem Verkauf fachmännisch abgenommen werden. Da aber die Blutsbande ihrer Familie mit überwiegend „elektrischen“ Berufen bildlich gesehen sowieso eher einem Stromkabel gleichen, ist ihr Verständnis für Machbares überdurchschnittlich groß und der Weg zum Fachmann nicht weit.
Finden muss sie allerdings manchmal auch neue Wege, diese Objekte bei aller festgestellter Machbarkeit auch tatsächlich herzustellen. Auch hier sind Kreativität und Improvisation angesagt. „Ich kann ja nicht für jedes Gewerk eine eigene Werkstatt und Spezialwerkzeuge haben. Ich muss mit dem, was ich habe, zum Ziel kommen“, fasst sie ihre Philosophie zusammen. Und so wird gesägt und geschliffen, gefräst und gebohrt, bis sich die Dinge wieder zu ihrem zweiten Leben zusammenfügen. „Viel schwieriger als das Aufbauen ist das vorherige Auseinandernehmen und Säubern des Materials“, gibt sie abschließend einen weiteren philosophischen Einblick in ihr Tun. Und: „Aus gebrauchten Dingen etwas Neues zu machen braucht Zeit!“ – und manchmal eben ein ganzes Leben, bis es ein zweites führen darf…
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